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Virtuelles Training oder Outdoor fahren

Von Fettklops
25. Februar 2020
6 Minuten Lesen

Kann das Radmarathon Training im heimischen Keller tatsächlich die Erfahrungen vor der Türe ersetzen? Ist Rollentraining tatsächlich intensiver als das Training draussen, und wo liegen die Vorteile und Nachteile von indoor und outdoor Training? Wir haben beide Varianten untersucht und sind zu erstaunlichen Ergebnissen gekommen...

Es gibt zahlreiche Gründe um im heimischen Keller zu trainieren, statt mit dem Rennrad in die Berge zu fahren. Und es ist tatsächlich gar nicht so einfach neben Familie und Job, noch genug Zeit für lange Trainingseinheiten zu nehmen. Seit einigen Jahren haben - dank Zwift und intelligenten Rollentrainern - die Indoor Trainingsmöglichkeiten erheblich an Reiz gewonnen und sind zu einer echten Alternative gereift. Aber kann ich mich ernsthaft mit einem Rollentrainer so fit machen, dass ich einen 300 Kilometer Radmarathon durch die Alpen durchstehen könnte? Kurze Antwort: JA!

Meine erste ernsthafte Rennrad Saison war das Jahr 2019. Und die Vorbereitung im Winter war geprägt von sehr intensiven Einheiten bei Zwift. Dezember und Januar bin ich (untrainiert) quasi ausschliesslich Rennen gefahren, denn die waren erstens sehr intensiv, und zweitens relativ kurz. Ich hasse lange und monotone Einheiten auf der Rollen, denn ich habe keinen Sinn darin gesehen zwei Stunden und mehr durch virtuelle Ländereien zu rollen, ohne eine ernsthafte Belastung zu spüren. Aber bereits Ende Februar / Anfang März 2019 habe ich den Hammer bekommen, denn mein Körper war einfach nicht so weit. Also habe ich mich mit aktueller Trainingslehre und den Zwift Trainings beschäftigt - und von einem Moment auf den anderen verstanden worum es beim Radtraining geht: es ist die Ökonomisierung des Gesamtsystems "Körper"!

Ein Radmarathon bedeutet für den Körper Stress. Wenn Du Dich an Deine ersten Tage auf dem Rennrad zurück entsinnst, dann denk mal dran wie Du Dich beim ersten Hügel gefühlt hast: da ging es nicht darum auf welchem Ritzel Du da hoch fährst, mit welcher Frequenz, wie schnell oder ob Du vor Deinen Kollegen ankommst! In Deinem ersten Jahr ging es ums nackte Überleben! Irgendwie oben ankommen... das war das Ziel!

Vor- und Nachteile von virtuellem Training

Wenn Du nicht gerade in den Niederlanden oder an der Nordsee wohnst, wirst Du auf Deiner Hausrunde die ein oder andere Erhebung vorfinden, die Dich mehr oder weniger schnell an Deine Grenzen bringt. Du hast anfänglich gar nicht erst die Chance es locker angehen zu lassen wenn Du an diesen Hügel kommst. Und auch wenn es nur 50 Höhenmeter sind, Dein Puls geht hoch! Das frisst Körner! Aus den geplanten 2 Stunden werden nur 60 oder 90 Minuten. Du kannst nicht mehr.

Das passiert Dir bei Zwift nicht. Du schaltest am Berg ein paar Gänge runter, stellst die Schwierigkeit auf Null und kannst weiterhin mit einer 80er oder 90er Kadenz locker den Berg hochkurbeln - zugegeben langsam, aber ohne Dich zu verausgaben.

Dann haben wir den Gamification Faktor. Es gibt Herausforderungen, Du kannst Punkte sammeln, Material kaufen, lockere Grouprides fahren etc. Und das alles rund um die Uhr. Egal wann, egal bei welchem Wetter, egal wo! Und für Abwechslung ist (anfänglich) gesorgt. So kannst Du 60 Minuten und mehr der Monotonie stetiger Fatmax Ausfahrten entfliehen und sogar nebenher noch Netflix bemühen.

Auch bei Verletzungen ist Zwift beliebt. Es käme mir nicht in den Sinn mit gebrochenem Arm und grossem Gips draussen in der Weltgeschichte rumzutingeln. Auf Zwift ist das Risko sich weiter zu verletzten aber ziemlich gering und man kann seine Leistung (sofern medizinisch nicht anders indiziert) weiter erhalten oder sogar ausbauen.

Für mich war vor allem die Flexibilität ausschlaggebend auf virtuelle Art und Weise fit zu werden. Ich konnte Nachts um 1 ebenso trainieren wie morgens um 6. Jeweils ohne zu erfrieren, mir Gedanken um Kleidung und Licht zu machen, oder Angst zu haben auf glatter Strecke zu verunglücken.

Du kannst jederzeit kontrolliert und strukturiert trainieren. Die Trash-Miles (also die Anfahrt zum eigentlichen Trainingsort) entfallen komplett. Man setzt sich auf die Rolle und kann direkt loslegen! Die Effektivität ist natürlich absolut ungeschlagen!

Es gibt auch ein grosses Aber (oder gleich mehrere davon), denn Zwift wird dann doch relativ schnell monoton. Sofern man nicht mehrere male pro Woche an Grouprides oder Rennen teilnehmen kann (weil der Trainingsplan einfach etwas anderes vorsieht), hat man die virtuellen Welten schnell erkundet. Zwift wird zwar schnell weiter entwickelt, aber die Basis bleibt immer die Gleiche. Virtuelle Fatmax Fahrten gehen also trotz virtueller Ablenkung, schnell auf die Psyche - das kann gleichzeitig ein Vorteil sein, wenn man sich dazu motivieren kann weiter zu fahren, trotz Langeweile.

Was meiner Meinung nach nicht funktioniert, ist sich ausschliesslich auf virtuelles Training zu stützen, und direkt im Anschluss einen Radmarathon zu finishen. Die Basis-Ausdauer ist dann sicher vorhanden, aber die spezifischen Faktoren sind überhaupt nicht ausgeprägt. Man ist es weder gewohnt Bergauf (bei 100% Realismusgrad und 50er Kadenz) zu strampeln, noch mit 35 Grad und Sonnenschein oder 5 Grad und Regen umzugehen. Auch diese Parameter müssen im Training simuliert und trainiert werden. Der innere Schweinehund muss ab und an besiegt werden, damit man sich im Radmarathon sagen kann "ich hab schon schlimmeres gemeistert".

Mein Fazit

Virtuelles Training ist super! Punkt! Ohne das, hätte ich den Ötztaler niemals durchgestanden. Ohne virtuelle Vorbereitung könnte ich mich viel zu selten zum Training im Winter überwintern. Ich habe einen riesen Respekt vor den Radkollegen die bei jedem Wetter, jeder Jahreszeit und auch bei Dunkelheit draussen trainieren gehen. Ich könnte das einfach nicht! Und es wäre mir auch zu gefährlich!

Virtuelles Training ist super, aber es sollte nicht 100% der Vorbereitungszeit einnehmen. Geh auch im Winter mal raus wenn die Sonne scheint und die Temperaturen über 5 Grad sind. Fahr auch im Sommer mal Abends im Regen. Geh im Frühling in die Berge und mach echte Höhenmeter... Sammle echte Erfahrungen und überschreite draussen Grenzen von Natur, Technik und Körper, um im Rennen nicht gegen eben diese ankämpfen zu müssen.

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