Radfahrer aller Leistungsklassen kennen das Problem - irgendwie schiesst er ein der Schmerz. Beinahe nicht auszuhalten zucken wir zusammen, versteifen uns in eigenartigen Positionen, stöhnen auf und erfreuen uns kurz darauf dem nachlassenden Schmerz. Aber was tun wenn mich so ein Muskelkrampf nicht nach dem Radfahren sondern mitten in einem Radmarathon ereilt?
Autsch... gleich geht der Krampf wieder los. Ich fahre seit 8 Stunden durch die Berge und ich bin richtig müde. In der rechten Wade spüre ich immer wieder wie die Spannung anzieht und dann wieder abfällt. Es ist nicht die Frage ob er kommt, sondern wann. Getrunken habe ich genug, gegessen habe ich ausreichend. Aber warum kommen dann die Krämpfe immer wieder und kann ich was dagegen tun?
Jeden der Krämpfe hat, kann ich beruhigen: Ob Anfänger oder Profi, davon sind wir quasi alle betroffen! Und die Radsportler trifft es am allermeisten in der Wade.
Am Stammtisch heisst es dann oft "du musst mehr trinken", die besorgte Mutter kauft Magnesium im Kilopack, die Ehefrau rät zu Glaubersalz. Aber was ist dran an den ganzen Hausmittelchen? Hilft da wirklich was? Oder ist das einfacher Irrglaube?
Im Internet findet man allerlei suspekte Tipps was man dagegen tun kann - alle legalen Mittel habe ich versucht.
Als ich im Jahr 2019 meine erste längere Tour gemacht habe (> 6 Stunden mit vielen Höhenmetern), plagten mich bereits nach der Hälfte der Zeit massive Krämpfe. Und ich hatte keinerlei Hausmittelchen dabei. Auch ernährungstechnisch habe ich lediglich zwischendurch zu Kaffee und Kuchen gegriffen. In den Flaschen war reines H2O. Dass diese Strategie nicht der Königsweg ist, wurde mir schnell klar.
An den Anstiegen kamen und gingen die Krämpfe - die meiste Zeit kamen sie und blieben auch.
Tipp 1: Regelmässig essen und trinken
Wenn Du Hunger oder Durst bekommst, ist das Rennen schon so gut wie gelaufen. Denn sowohl Hunger als auch Durst deuten auf einen Mangel hin, das heisst die Muskulatur wird schon nicht mehr optimal versorgt.
Auf meiner Apple Watch habe ich mir darum einen Wecker programmiert. Ich werde alle 15 Minuten zum trinken animiert und alle 45 Minuten zum Essen. Ja, von Anfang an! Sieht vielleicht blöd aus, wenn man beim Ötztaler bereits unten am Kühtai die Banane oder den Riegel auspackt, aber vor allem die alten Hasen kann man bereits früh bei der Nahrungsaufnahme beobachten. Mir reicht jeweils die halbe Banane bzw. der halbe Riegel aus. Der Rest wandert zurück ins Trikot.
Und Getränkemässig habe ich in den ersten beiden Flaschen eher weniger Kohlenhydrate, dafür etwas mehr Salz damit es optimal vom Körper aufgenommen werden kann und nicht ausschwemmt.
Nach ca. 2 bis 3 Stunden bekomme ich keine feste Nahrung mehr runter, dann stelle ich komplett um auf Gels und satte Kohlenhydrat Drinks.
Bei den Gels ist zu beachten, dass ihr die Gels die angeboten werden, vorher in einem langen Training ausprobieren solltet. Sofern ihr die Gels nicht vertragt, müsst ihr eure eigenen mitnehmen. Sieht blöd aus, aber ich klebe mir die ersten 4 Stück an das Oberrohr. Den Rest habe ich im Trikot.
Tipp 2: Extra-Salz im Isogetränk
Beim Salz zählt: je mehr desto besser. In der Regel fahre ich Ausfahrten bis 2 Stunden ausschliesslich mit Wasser - versetzt mit ca. 1.0 Gramm Salz pro Liter. So dass ich es eben noch nicht schmecke. Empfohlen werden bei Ausdauer Belastungen pro Stunde 1.2 bis 2.0 Gramm Salz zuzuführen.
Wer beim Geschmack empfindlich ist, kann auch auf spezielle Salztabletten zurückgreifen.
Tipp 3: Eigene Isogetränke
Das Isopulver kann so gut sein wie es will, wenn es zu dünn (oder zu dick) angerührt wurde, hilft Dir das gar nicht bzw. nicht in dem Umfang wie es sollte. Isotonische Getränke haben das selbe Verhältnis von Nährstoffen zu Flüssigkeit und können deshalb besonders gut aufgenommen werden. Ist das nicht der Fall, droht die Wasservergiftung bzw. Magenprobleme.
Hinzu kommt, dass meist nicht das isotonische Produkt angeboten wird, das man gewöhnt.
Aus diesen Gründen habe ich - zumindest für einen Teil der Strecke - mein eigenes portioniertes Pulver dabei in kleinen Beutelchen. Direkt vorbereitet mit Salz. Eine Feinwaage hilft hier extrem. Am Besten nochmals durch einen weiteren Beutel Luft- und Wasserdicht verpackt - könnte im Zweifel ziemlich klebrig werden falls nicht ganz dicht.
Tipp 4: Magnesium
Magnesium soll bei Krämpfen helfen! Allerdings nicht mehr im Rennen, denn zum einen kann das Dein Körper dann gar nicht mehr in ausreichender Menge aufnehmen, zum anderen geht Magnesium ziemlich auf Magen- und Darmtrakt, was zu unerwünschten Flatulenzen, Magen / Darmkrämpfen und schlussendlich "Dünnpfiff" führt.
Damit die Muskulatur optimal versorgt wird, kannst Du im Vorfeld Magnesium zu Dir nehmen als Supplement. Allerdings reicht eine ausgewogene Ernährung meist auch aus.
Tipp 5: Saure Gurken
Hat mir bei meinem ersten 300er die Zieleinfahrt gerettet: vor dem letzten Anstieg habe ich schon gemerkt, dass mich das vermutlich extrem schlauchen wird und ich war absolut am Ende meiner Kräfte. An der letzten Verpflegungsstation gab es dann saure Gurken, die mir gegen Krämpfe angeboten wurden. Hat tatsächlich geholfen. Die Krämpfe kamen zwar trotzdem, aber deutlich später als befürchtet. Gemäss letzter Studien ist eine Ursache von Krämpfen ein fehlerhafter Rückenmarkreflex der den Muskel zu stark kontrahieren lässt. Der saure Geschmack im Mund sendet ein neuronales Signal ans Gehirn und lässt die Muskulatur anders ansteuern.
Weil die wenigsten auf langen Touren grösser 300 Kilometern Gurkengläser im Trikot durch die Gegend schleppen wollen, gibt es etwas ähnliches als Supplement: Extrem sauer, extrem teuer, aber sehr effizient ist Muscle Relax von Sponser. Habe ich seither immer für den grössten Notfall dabei.
Tipp 6: Massage Service nutzen
Gibt es bei den grösseren Radmarathons oft an den letzten Verpflegungsstationen: ein Massage-Service (teilweise sogar kostenlos, die Damen und Herren freuen sich aber bestimmt über Trinkgeld). Die kneten die schlimmsten Verkrampfungen aus der müden Muskulatur.
Insbesondere NACH längeren Veranstaltungen lohnt sich der freiwillige Gang zum Masseur oder Physiotherapeut, um die Regeneration zu unterstützen.
Tipp 7: Stehen, Dehen(?!), Gehen
Oft hilft eine andere Belastung um den gestressten Muskel kurz vor dem Krampf zu beruhigen. Dann heisst es absteigen. Allerdings solltest Du der Versuchung widerstehen den beginnenden Krampf über hartes Dehnen in den Griff zu bekommen. Das führt zu einer zusätzlichen Reizung, schlimmstenfalls auch von angrenzenden Muskelpartien.
Besser ist es SANFT zu massieren!
Auch leichtes Gehen hilft oft. Sei Dir nicht zu schade das Rad einige Meter den Berg hoch zu schieben.
Tipp 8: Kürzere Strecken, kleinere Intensität
Klingt doof! Ist aber so! Wenn Du alle Tipps befolgt hast und Deinen Körper optimal versorgst, und trotzdem noch Krämpfe hast, dann liegt es wohl oder übel an unzureichender Fitness! Krämpfe sind dann auch leider nicht mehr wegzudiskutieren... wenn sie da sind, ist es sehr schwer sie wieder loszuwerden. Da hilft nur, im kommenden Winter das Training anders auszurichten bzw. mehr Trainingszeit einzuplanen!